Die kreative Szene Islands ist ebenso aktiv ist wie die unzähligen Vulkane des Landes und am Wochenende brodelt das Nachtleben in Reykjavik. Wer sich in Reykjavik als Tourist outen will, muss einfach seine bunte Thermojacke anziehen, die er gegen die Kälte dort oben, am Polarkreis, garantiert im Gepäck hat. Einheimischen würde es nie einfallen, ihr Outfit mit einer solchen Modesünde zu verhunzen: Obwohl die Temperaturen selbst im Sommer selten die 20-Grad-Marke knacken (tagsüber, wohlgemerkt!), zum Ausgehen trägt Frau Minirock, ein knappes Top, Ballerinas, drüber höchstens ein Jäckchen. Dass es den Mädels trotzdem nicht kalt wird, liegt am Nachtleben der Hauptstadt: es brodelt! Das typische Wochenende beginnt mit Vorglühen (in den Bars kostet schon ein Bier um die acht Euro!), dann zieht die Partykarawane Richtung Innenstadt. „Runtur“ nennt sich das, fast alle Bars und Clubs befinden sich nämlich in der und um die schmale Hauptstraße Laugavegur, die durch die Gruppen von Nachtschwärmern noch enger wird, trotzdem cruisen die dicken Geländewagen immer wieder mit aufgedrehter Musik vorbei.
Durchgestylte Clubs sucht man in Reykjavik vergebens
Die meisten Clubs sind zugleich Bars und Restaurants, wer es sich leisten kann, geht am früheren Abend essen und nimmt dann ein paar Drinks, bis die Tische beiseite geräumt werden und die Party beginnt. Draußen haben sich dann dicke Trauben um die Türsteher gebildet. Durchgestylte Clubs sucht man allerdings in Reykjavik vergebens: Selbst die angesagtesten Läden, Sirkus, Kaffibarinn, Dillon, sind ganz normale, sogar eher kleine Kneipen mit Schummerlicht und oft Möbeln vom Trödel. Doch darum geht es nicht. In Island, wo die Sonne im Winter jeden Tag nur kurz über den Horizont lugt und wo der Sommer aus reinem Wunschdenken offiziell im April beginnt, hier werden die wenigen tatsächlich sommerlichen Wochen, wenn die Sonne auch nachts scheint und man im Minirock vor die Tür gehen kann, lebenshungrig ausgekostet. Seit die Sperrstunde 1999 fiel, wird in Reykjavik Freitags und Samstags bis in die frühen Morgenstunden gefeiert, illuminiert von der Mitternachtssonne.
Island hat eine äußerst kreative Modedesign- und Musik-Szene
Eigentlich ist Reykjavik für eine Hauptstadt recht kleinstädtisch: Kleine, bunt gestrichene Holzhäuschen prägen das Stadtbild, das Zentrum lässt sich zu Fuß ablaufen, die Straßen sind schmal, gerade mal 190.000 Menschen leben hier. Andererseits hat das ganze Land auch nur rund 300.000 Einwohner, hier kennt jeder irgendwie jeden und wenn nicht, so ist man zumindest verwandt. Und trotzdem kann sich in der „Rauchbucht“ nicht nur das Nachtleben sehen lassen. Island hat eine äußerst kreative Modedesign-Szene, die sich, wie es die ehemalige Gucci- und Calvin Klein-Designerin Steinunn Sigurdadottir formuliert, von der Mitternachtssonne, den Nordlichtern und der nordischen Landschaft inspirieren lässt.
Obwohl die Einkaufsmeile tatsächlich nur wenig länger als eine Meile sein dürfte, wartet so manche Entdeckung: In der Laugavegur und Seitenstraßen liegen die Boutiquen einheimischer Designer wie Steinunn, Elm oder Kirsuberjatréð Tür an Tür mit kunterbunten Vintage-Läden, in denen 60ies Kleider, 80er-Jahre Stiefel, Handtaschen, Hüte und Schmuck das Herz jeder Fashionista höher schlagen lassen. Unbedingt vorbeischauen sollte man auch bei 12tonar: Der Plattenladen ist so etwas wie das Wohnzimmer der isländischen Musikszene, die nicht nur international bekannte Stars wie Björk, Sigur Ros oder GusGus hervorgebracht hat, sondern unzählige kleine, feine Bands, deren Scheiben man hier Probe hören kann. Wahrscheinlich läuft man sogar dem einen oder anderen über den Weg, Reykjavik ist eben sehr übersichtlich. Auf dem Airwaves Festival trifft man sie alle, garantiert: Jedes Jahr im Oktober spielen in Reykjaviks Clubs vier Tage lang die besten isländischen Bands (geschätzte 254), auch einige internationale Acts dürfen die Bühnen entern.
Der Besuch im Thermalbad ist in Island Volkssport
Damit die Festivalbesucher so viel Feierei verkraften, findet ein Showcase in der Blauen Lagune statt, dem bekanntesten Thermalbad Islands. Während die DJs dick eingemummelt auf einer kleinen Insel aus Lavagestein auflegen, aalt sich das Publikum im 40 Grad heißen, knallblauen, dampfenden Wasser und trinkt eiskaltes Bier. Am liebsten das einheimische „Viking“ - es wird mit Gletscherwasser gebraut und das schmeckt man sogar. Ein Besuch im Spa hilft nicht nur über das Konditionstief nach einem heftigen Partywochenende, es ist in Island Volkssport. Wem die Blaue Lagune zu touristisch, zu weit weg (etwa 40 Minuten von Reykjavik) oder zu teuer (etwa 20 Euro) ist, findet allein in der Hauptstadt 16 Alternativen. Im vulkanisch sehr aktiven Island sprudeln überall heiße Quellen aus dem Boden, so dass es neben den offiziellen beheizten Frei- und Thermalbädern (mit Umkleide und Dusche) auch viele frei zugängliche heiße Quellen gibt. Man muss nur wissen, wo.
Tipps
Übernachten
CenterHotel Thingholt: Stylishes Designhotel im Stadtzentrum. DZ ab 150 Euro. Thingholtsstraeti 3-5, Tel. +354 595 8530, www.centerhotels.com
Hotel Leifur Eiriksson: Gemütliches, familiengeführtes Hotel gegenüber der Hall- grimskirkja. DZ ab 100 Euro, Dreibettzimmer ab 125 Euro. Skolavordustigur 45, Tel. +354 562 0800, www.hotelleifur.is
Shopping
Haupteinkaufsstraße ist die Laugavegur und Seitenstraßen. Stylish-schräg: Naked Ape
Vintage: Gyllti Kötturinn (Austurstraeti 8-10, www.gylltikotturinn.is)
Rokkogrosir (Laugavegur 28)
Isländische Designer: Steinunn (Laugavegur 59)
Elm (Laugavegur 1)
Kirsuberjatréð (Vesturgata 4)
Am Wochenende Flohmarkt (Kolaportið) am Hafen
Musik: 12Tónar (Skolavordustig 15)
Essen gehen
Perlan: Das Drehrestaurant auf den silbernen Heißwasserspeichern ist ein Wahrzeichen Reykjaviks. Gehobene Küche bei Panoramablick. Tel. +354 562 0200, www.perlan.is
Ausgehen
Am Wochenende ist der Laugavegur samt Nebenstraßen eine Partymeile.
Angesagteste Bar-Clubs: Sircus (viele Künstler und Musiker, Klapparstígur), Kaffibarinn (Bergstadastraeti 1)
Größter Club: NASA (DJs, Konzerte, Austurvollur).
Airwaves: Das Festival findet jedes Jahr im Oktober statt.
Wellness
Blaue Lagune: Täglich geöffnet, Eintritt um 20 Euro. Ca. 40 Minuten von Reykjavik in Grindavík. Tel. +354 420 8800
Weitere Infos unter www.visitreykjavik.is
Text: Julia Schoon